Bergkamens Bergbaugeschichte ist mit viel Licht und mit viel Schatten verknüpft. Mehr als einhundert Jahre lebte die Kommune vom schwarzen Gold und stieg mit ihm zur größten Bergbaustadt Europas auf. Zugleich steht sie für die dunkelsten Stunden, die der Steinkohlebergbau hervorgebracht hat: Am 20. Februar 1946 ereignete sich auf dem Schacht Grimberg 3/4 im Ortsteil Weddinghofen das schwerste Grubenunglück der deutschen Bergbaugeschichte. Durch eine gewaltige Schlagwetterexplosion verloren 405 Bergmänner ihr Leben. Das schreckliche Ereignis hat sich tief in das kollektive Gedächtnis der Bergkamener eingebrannt, viele Familien waren damals vom Unglück betroffen und verloren Ehemann, Vater oder Sohn.
Bis heute ist der Auslöser für die Schlagwetterexplosion, die sich um Punkt 12:05 Uhr auf der zweiten Sohle in 930 Meter Tiefe ereignete, nicht geklärt. Der Druck war so gewaltig, dass selbst die Schachthalle über Tage zerstört wurde. In der Folge kam es zu einer Kohlenstaubexplosion, die breit die Grube durchlief und den gesamten Bau zerstörte. Rettungsmannschaften mussten durch die benachbarten Schächte Kiwitt und Grillo vordringen, weil die Schächte III und IV durch die Beschädigungen nicht mehr befahrbar waren. Von den 466 Bergleuten der Frühschicht wurden nur 64 lebend geborgen, die letzten acht Kumpel drei Tage nach dem Unglück. Sämtliche Grubenwehren der benachbarten Zechenanlagen wurden in Weddinghofen zusammengezogen, insgesamt waren 269 Retter im Einsatz. Weil die vielen Brände im Grubengebäude nicht unter Kontrolle zu bringen waren, wurde die komplette Grube am 25. Februar 1946 zugemauert und zweimal mit Wasser geflutet. Mehr als 380 tote Bergleute konnten deshalb nicht geborgen werden und blieben für immer in der Tiefe. Tagelang standen die Angehörigen der Bergmänner vor den Toren der Anlage und hofften auf ein Wunder. Doch das Unglück machte 283 Ehefrauen zu Witwen und nahm 433 Kindern den Vater. Der Verlust des Ernährers in der schlechten Nachkriegszeit führte viele Familien in die Verzweiflung.
Im Kreisarchiv in Unna zeugen historische Akten von einer Welle der Hilfsbereitschaft, die das Unglück auf Grimberg 3/4 auslöste. Viele Bewohner des Kreises Unna und weit darüber hinaus folgten einem Spendenaufruf des damaligen Landrats Moenikes. Auf diesem Weg kamen 2,8 Mio. Reichsmark für die Hinterbliebenen der Katastrophe zusammen. Die Spendenlisten belegen auch die legendäre Solidarität unter den Bergleuten. Die Belegschaften vieler Zechen aus dem ganzen Ruhrgebiet beteiligten sich mit hohen Spendensummen. An finanzieller Hilfe erhielt jede Witwe 3.500 Reichsmark, außerdem wurden für jedes Kind weitere 700 Reichsmark gezahlt. Mit der restlichen Spendensumme wurde die langfristige Versorgung der Hinterbliebenen geplant. Doch mit der Währungsreform 1948/1949 verlor das Kapital seinen Wert und machte das Vorhaben zunichte. Im Jahre 1955 wurde der Grimberg-Spendenfond deshalb abgewickelt. Vom restlichen Geld wurden für die Witwen noch einmal Einkellerungskartoffeln gekauft. Ein trauriges Kapitel ist der Umgang mit Sachspenden, die in großer Zahl gestiftet wurden. Ein betriebseigenes Komitee der Schachtanlage Grimberg sollte für die Verteilung an die Hinterbliebenen sorgen, aber einige der Organisatoren wirtschafteten in die eigene Tasche. Die Bergmänner aus Bergkamen, Rünthe und Weddinghofen wurden vor Gericht ihrer Taten überführt und zu mehrmonatigen Haftstrafen verurteilt.
Ein Jahr nach dem Unglück auf Grimberg 3/4 wurde die abgedämmte Grube noch einmal geflutet und die zweite Sohle komplett aufgegeben. Erst im Sommer 1952 lief auf der Schachtanlage wieder die Kohleförderung an. Zuvor wurde im Frühjahr am Waldfriedhof in Weddinghofen eine Gedenkstätte für die Opfer des Unglücks eingeweiht. Das beeindruckende Ehrenmal wurde von dem Soester Bildhauer Wilhelm Wulff entworfen. Die Hinterbliebenen erhielten damit einen Ort für ihre Trauer. Bei Teufarbeiten im Jahre 1958 wurden im Schacht die sterblichen Überreste von fünf Bergleuten gefunden, die nicht mehr identifiziert werden konnten. Die Gebeine wurden an der Gedenkstätte beigesetzt. Dort trifft sich zum 75. Jahrestag der Katastrophe eine kleine Abordnung des Knappenvereins Weddinghofen mit Bürgermeister Bernd Schäfer, um der Toten zu gedenken und einen Kranz niederzulegen. Eigentlich hatte Knappen-Chef Uli Matzke eine große Gedenkveranstaltung geplant. „Das wären wohl weit über 200 Teilnehmer geworden, aber durch Corona geht das nicht. Ich habe allen befreundeten Knappenvereinen absagen müssen“, erklärt er. In Weddinghofen fühlt man sich dem Gedenken an die 405 toten Bergmänner verpflichtet: „Das ist für uns eine Ehrensache.“
"Viele hätten überleben können"
Interview mit dr. michael farrenkopf vom deutschen bergbaumuseum in bochum
Herr Dr. Farrenkopf, welche Bedeutung hat das Grimberg-Unglück für die Geschichte des Steinkohlebergbaus?
In einer langen historischen Betrachtung müssen wir das Grubenunglück auf Grimberg 3/4 als das schwerste Unglück in der Geschichte des deutschen Bergbaus einordnen. Die 405 toten Bergmänner sind die höchste Betroffenenzahl, die es jemals gegeben hat. Bedenken muss man auch die zeitlichen Umstände so kurz nach dem Krieg. Im Grunde war das noch Bergbau unter Kriegsbedingungen, denn die Zechen standen unter alliierter Kontrolle. Ohne Zweifel war Grimberg die schwerste Grubenkatastrophe im Steinkohlebergbau.
Bis heute ist die eigentliche Ursache für das Unglück nicht bekannt. Was ist denn die gängigste Theorie, oder gibt es gar neuere Erkenntnisse?
Neuere Erkenntnisse gibt es nicht, aber es gibt plausible Annahmen. Schlagwetterexplosionen waren im Bergbau gang und gäbe. Grimberg war dafür bekannt, eine gasende Grube zu sein. Schon im Jahre 1944 war es zu einer Explosion gekommen. Dabei starben 107 Bergleute, darunter viele Zwangsarbeiter. Aber tatsächlich ist das Grimberg-Unglück nicht wirklich unter einer montanhistorischen Risikoabschätzung erforscht worden.
Das größte Grubenunglück in der Geschichte des deutschen Bergbaus ist historisch bis heute nicht wirklich erforscht ?
Es ist tatsächlich so. Grubensicherheitsforschung ist montanhistorisch bisher für die Katastrophen des 19. Jahrhunderts erfolgt. Meine eigene Dissertation handelt davon. Für Grimberg hat es immer wieder mal Überlegungen gegeben, aber dabei ist es geblieben. Ich bedauere das selbst. Hinzu kommt die Frage der Quellen. Möglicherweise müsste man gucken, was man dazu in England noch findet, denn Grimberg unterstand zur Zeit des Unglücks der britischen Besatzung. Insgesamt gibt es zu den Unglücksfällen des 20. Jahrhunderts leider wenig Forschung.
In Bergkamen hat man immer erzählt, dass die Engländer kein großes Interesse an der Ursachenforschung hatten. Schnell sei „der Deckel draufgemacht“ worden...
Das ist ein typischer Reflex. Auch die Bergbauunternehmer oder die Bergbehörden hatten früher nie ein sonderliches Interesse daran, solche Fälle in der Breite zu untersuchen. Die Frage der Schuld war für die Hinterbliebenen oder für die Bevölkerung viel wichtiger, um so ein schreckliches Ereignis zu fassen.
Nach dem Unglück wurde zunächst auch von einem möglichen Sabotage-Akt geredet. Wie denkt man in Fachkreisen darüber?
Die Spekulation um eine Sabotage war wohl der Stimmung dieser Zeit geschuldet. So kurz nach der Beendigung des Krieges von einer fremden Macht besetzt zu sein, befördert auch Gerüchte. Das war ein destabilisierendes System. Aber warum sollten sich die Deutschen das einzige Gut selbst nehmen, das sie nach dem Krieg noch besaßen und dringend zum Überleben brauchten?
Bis heute wird erzählt, dass Sicherheitsmaßnahmen zugunsten einer massiven Kohleförderung vernachlässigt wurden. Wir ordnet das der Fachmann ein?
Sicherlich bestand das Primat der Produktion. Schon ab 1941/42 wurde reiner Raubbau betrieben. Kohle war kriegswichtig. Deshalb hat man aber nicht großzügig auf Sicherheit verzichtet. Die Bergleute waren nicht dumm und wussten, was zum Schutz und zur Sicherheit zu tun ist. Wir unterscheiden den präventiven Schutz, um ein Unglück zu verhindern und den konstruktiven Schutz, um sich im Unglücksfall möglichst retten zu können. Vermutlich spielte das Bewusstsein für Sicherheit nicht mehr eine so große Rolle, wenn Bergbau unter Kriegsbedingungen stattfand. Beim Grimberg-Unglück ist die Explosion breit durch die Grube gelaufen. Die meisten Bergleute werden erstickt sein, weil sie keine Luft mehr zum Atmen hatten.
Welche Konsequenzen hatte das Grimberg-Unglück für den deutschen Bergbau?
Nach dem Ereignis auf Grimberg 3/4 wurde die Rettungslogik im Bergbau an zwei entscheidenden Stellen reformiert. Die Atemschutzgeräte der Grubenwehren, die bis dahin nur für zwei Stunden ausreichten, bekamen eine längere Haltezeit von mindestens vier Stunden. Die zentrale Konsequenz war aber die verpflichtende Einführung eines CO-Filters für alle Bergmänner und sogar für Bergwerksbesucher. Die Geräte, die auch Selbstretter genannt werden, gab es schon vor dem Ersten Weltkrieg. Sie wurden aber nicht eingesetzt, weil sie zu groß waren, obwohl im Falle eines Unglücks jeder Bergmann vor Ort noch eine Stunde hätte atmen und sich retten können. Nach dem Grimberg-Unglück wurde der Selbstretter optimiert, damit er stets am Mann getragen werden konnte. Anfang der 1950er Jahre wurde er probeweise im Bergbau getestet und dann verpflichtend. Das ist eine direkte Konsequenz aus der Katastrophe. Die Tragik beim Grimberg-Unglück ist, dass mit dem CO-Filter eine große Anzahl der verunglückten Bergleute hätte überleben können.
Herr Dr. Farrenkopf, ich bedanke mich für das Interview.
Zur Person:
Dr. Michael Farrenkopf, Jahrgang 1966, ist promovierter Historiker und Leiter des montanhistorischen Dokumentationszentrums am Deutschen Bergbaumuseum in Bochum. Er ist führender Wissenschaftler für die montanhistorische Sicherheitsforschung.
DIESER STÄTTE NAHT IN EHRFURCHT!
HEILIG IST SIE! GEWEIHT DEM GEDENKEN
DER 405 KNAPPEN, DIE GEMEINSAM STARBEN
FÜR EUCH IN SORGENDER PFLICHT.
(Inschrift der Gedenkstätte)
Das WDR-Fernsehen hat aus Anlass des 75. Jahrestages des Grimberg-Unglücks eine sehenswerte Dokumentation veröffentlicht, die auch bei YouTube zu finden ist.