Verfolgung in der NS-Zeit

August Kühler, letzer Bürgermeister der Gemeinde Rünthe, war ein Opfer der Verfolgung im Nationalsozialismus. (Quelle: Kreisarchiv Unna)
August Kühler, letzer Bürgermeister der Gemeinde Rünthe, war ein Opfer der Verfolgung im Nationalsozialismus. (Quelle: Kreisarchiv Unna)

Mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs vor 75 Jahren endete auch die Herrschaft der Nationalsozialisten. Nicht wenige Bürgerinnen und Bürger aus der Altgemeinde Rünthe wurden in der Zeit von 1933 bis 1945 von den Nazis verfolgt, hauptsächlich Kommunisten, Sozialdemokraten oder Gewerkschafter. Im Kreisarchiv in Unna lagern bis heute alte Entschädigungsakten aus den Nachkriegsjahren, die Aufschluss über die Verfolgung während der Diktatur geben.  Die Kreisverwaltung hatte eigens ein Amt für Wiedergutmachung eingerichtet, dass Ansprüche auf Entschädigungsleistungen prüfen sollte. Zwei Bundesgesetze regelten damals die Rückgabe enteigneten Eigentums und die Entschädigung weiterer erlittener Schäden.

Zu den Archivalien gehört die Akte von August Kühler, der von 1963 bis 1966 letzter Bürgermeister der Gemeinde Rünthe war. Er lebte seit den 1920er Jahren in der Kolonie Rünthe-Süd und engagierte sich bei den Kommunisten. Kurz nach der Machtergreifung der Nazis wurde er am 10. März 1933 verhaftet und saß zunächst im Gerichtsgefängnis in Hamm und dann im Zentralgefängnis in Wittlich ein. Anschließend wurde er ins KZ Schönhausen verschleppt, um von dort dem KZ Börger-Moor bei Papenburg zugeführt zu werden. Über ein Jahr blieb Kühler in den Fängen des nationalsozialistischen Verfolgungssystems und war den körperlichen Misshandlungen seiner Peiniger ausgesetzt. In der jungen Bundesrepublik engagierte sich der gelernte Hauer dann bei den Sozialdemokraten und machte eine beachtliche Karriere in der Kommunalpolitik.

Auszug aus der Sterbeurkunde von Ernst Bronheim. (Quelle: Gedenkstätte Brauweiler)
Auszug aus der Sterbeurkunde von Ernst Bronheim. (Quelle: Gedenkstätte Brauweiler)

Überliefert ist auch das tragische Schicksal von Ernst Bronheim aus der Glückaufstraße. Er gehörte zu den kommunistischen Funktionären, die gleich nach dem Reichstagsbrand vom 27. Februar 1933, den die Nazis fälschlich den Kommunisten angelastet und mit dem sie die Einführung willkürlicher Verhaftungen gerechtfertigt hatten, in sogenannte Schutzhaft genommen wurden.

Nach mehrwöchiger Haft im Lager Schönhausen wurde er ins KZ Brauweiler überliefert, wo er am 15. April 1933 unter zweifelhaften Umständen ums Leben kam. Offiziell soll Ernst Bronheim in seiner Zelle Suizid begangen haben, aber Mithäftlinge berichteten, dass er von den Nazis ermordet wurde. Im Entschädigungsverfahren gab seine Witwe Alwine zu Protokoll, dass sie einen Überführungswagen mit Sarg nach Brauweiler geschickt habe, um ihren toten Mann nach Hause zu holen. Doch das KZ verweigerte die Herausgabe des Leichnams. Die sterblichen Überreste von Ernst Bronheim wurden in Brauweiler eingeäschert. Die Witwe musste mit ihren Kindern Otto, August und Ernst jun. von der Wohlfahrt leben.

Mit Wilhelm Graumann aus der Waldstraße (heute Beverstraße) saß im KZ Brauweiler ein weiterer KPD-Mann ein. Der Bergmann sollte ursprünglich am 1. März 1933 verhaftet werden. Obwohl sein Haus von der Polizei umstellt war, gelang ihm zunächst die Flucht. Bis zum 12. April 1933 wurde Wilhelm Graumann abwechselnd von den Familien Elster, Licht und Galwa in der Kolonie Rünthe-Süd versteckt gehalten. Doch schließlich wurde er entdeckt und verhaftet. Die Nazis hielten ihn für fünf Monate in den Konzentrationslagern Schönhausen und Brauweiler gefangen.

Das Wohlfahrtsgebäude der Kolonie Schönhausen wurde 1933 zum KZ. (Bildnachweis: Stadtarchiv Bergkamen)
Das Wohlfahrtsgebäude der Kolonie Schönhausen wurde 1933 zum KZ. (Bildnachweis: Stadtarchiv Bergkamen)

Zu den Mithäftlingen dort gehörte auch Willi Fuchs aus der Westfalenstraße, der ohne ein Urteil in Haft genommen wurde, weil er dem Reichsbanner angehörte, einem Verband zum Schutz der Demokratie in der Weimarer Republik. Er überlebte Folter und Haft und wurde nach mehreren Monaten wieder entlassen. Wegen staatszersetzender Äußerungen geriet auch Heinrich Gunia am 21. September 1933 in die Mühlen der NS-Justiz. Über das KZ Schönhausen wurde er ins KZ Börger-Moor verschleppt, wo er bis Weihnachten 1933 interniert blieb.

Viele weitere Bürgerinnen und Bürger der Altgemeinde Rünthe wurden während der NS-Zeit verhaftet, darunter im Ort bekannte Persönlichkeiten wie Walter Bösel, Karl Exner, Willi Großpietsch, Otto Hahn, Artur Horlbogen oder Ernst Kirmse. Allein für das KZ Schönhausen, das die Nazis provisorisch von April bis Oktober 1933 betrieben, kann Stadtarchivar Martin Litzinger in seiner Ortschronik auf 117 Häftlinge aus der Altgemeinde Rünthe verweisen. Anrührend ist auch die Geschichte von Frieda Mehring, die später verhaftet wurde, weil sie einem ausgehungerten russischen Kriegsgefangenen ein Stück Brot gegeben hatte.

Vor dem Hintergrund solcher Fakten mutet es seltsam an, dass sich die Stadt Bergkamen bis heute nicht am Erinnerungsprojekt der "Stolpersteine" beteiligt, das den Opfern der nationalsozialistischen Verfolgung gewidmet ist. Während alle anderen Kommunen im Kreis Unna längst die Gedenksteine verlegt haben, bleibt Bergkamen der letzte weiße Fleck im Kreisgebiet, obwohl so viele Menschen der Verfolgung ausgesetzt waren.