Lippe und Kanal: Tragische Unglücksfälle der Geschichte

Der Kanal zwischen Heil und Oberaden in den Jahren kurz nach seiner Fertigstellung 1914. (Bildnachweis: Stadtarchiv Bergkamen)
Der Kanal zwischen Heil und Oberaden in den Jahren kurz nach seiner Fertigstellung 1914. (Bildnachweis: Stadtarchiv Bergkamen)

 

Lippe und Kanal sind zwei Gewässer, die das Ortsbild von Rünthe prägen. Auf die Bevölkerung übten beide Wasserläufe stets eine große Anziehungskraft aus, die nicht immer gefahrlos blieb. Tödliche Unglücksfälle sind durch alte Kirchenbücher und durch das Sterberegister der Altgemeinde Rünthe dokumentiert.

 Im Stadtarchiv Bergkamen weiß man von einer schaurigen Geschichte, die sich am 5. April des Jahres 1765 auf der Lippe ereignete und sieben Menschen das Leben kostete. Dort ertranken drei Kinder der Familie Lippmann, der Jugendliche Gerhard Klute und die Erwachsenen Anna Kemper, Elisabeth Durhamer und Johann Nüsken. Zwei weitere Personen überlebten den Vorfall. Rünthe gehörte damals noch zum Kirchspiel der evangelischen Kirche in Herringen. Im Kirchenbuch sind die Sterbeeinträge dokumentiert, doch finden sich keine weiteren Details zur Ursache. Womöglich ist die Gruppe mit einem Kahn auf der Lippe verunglückt. Erst nach Wochen konnten die Wasserleichen nach und nach im Fluss gefunden werden. Die letzte Beisetzung fand am 13. Mai 1765 auf dem Kirchhof in Herringen statt. Die Gemeinde Rünthe besaß zu dieser Zeit noch keinen Friedhof.

Der Datteln-Hamm-Kanal in Höhe von Haus Rünthe. (Foto: Manuel Izdebski)
Der Datteln-Hamm-Kanal in Höhe von Haus Rünthe. (Foto: Manuel Izdebski)

Auch nach der Fertigstellung des Datteln-Hamm-Kanals im Jahre 1914 war mit dem elfjährigen Peter Schuck, der am 25. August beim Baden ertrank, ein erstes Todesopfer der neuen Wasserstraße zu beklagen. Der Junge lebte mit seiner Familie in der Rünther Zechenkolonie. Von vielen anderen Todesfällen zeugen die Sterbeurkunden der Altgemeinde. Häufig sind Kinder betroffen, vor allem aber junge Männer, die wohl ihren Übermut mit dem Leben bezahlten. Ein schreckliches Unglück belegen die Sterbeurkunden von Margarethe Janulek und ihrer beiden Kinder Margarethe und Helmuth, damals vier und sechs Jahre alt, die am 5. August 1925 im Kanal den Tod fanden. "Den Vorfall können wir heute nicht mehr rekonstruieren", sagt Stadtarchivar Martin Litzinger, "Vielleicht starb die Mutter mit ihren Kindern beim Baden. Schließlich war Sommer, sie wohnte in der Wierlingstraße 20, also ganz in der Nähe zum Kanal. Vielleicht war es auch ein erweiterter Suizid, das hat es damals auch schon gegeben. Wir können nur spekulieren."

Schon eineinhalb Jahre später ereignete sich am 27. Januar 1927 eine weitere Tragödie, bei der die Brüder Franz und Paul Niegsch und ihr Spielkamerad Emil Müller in der Lippe ertranken. Zum Todeszeitpunkt waren die Jungen neun, zwölf und vierzehn Jahre alt. Familie Niegsch war erst wenige Jahre zuvor aus dem Kreis Waldenburg in Schlesien nach Rünthe gekommen, um hier von der Arbeit auf der Zeche Werne ein besseres Leben führen zu können. Die Jungen waren Nachbarskinder aus der Stichstraße. Das Gebiet an der Lippe oberhalb des Friedhofs war ihr Spielrevier. Ein klassischer Badeunfall darf im Winter als Unglücksursache ausgeschlossen werden. Vermutlich war die Lippe zugefroren, die Jungen spielten auf dem Eis und brachen ein. In der Bergbaugemeinde wird der schreckliche Tod der drei Kinder Entsetzen ausgelöst und sich tief in das kollektive Gedächtnis der Bevölkerung eingebrannt haben. Dass Eltern in Rünthe heute noch ihren Nachwuchs vor der Gefahr warnen, die von Lippe und Kanal ausgeht, dürfte auf diesen und die zahlreichen anderen Unglücksfälle zurückzuführen sein, auch wenn die tragischen Ereignisse nicht mehr konkret erinnert werden.

Für Heranwachsende hat der Kanal nichts von seiner Faszination verloren. Waghalsige Sprünge von den Brücken lassen sich heute noch in jedem Sommer beobachten. Der jugendliche Übermut macht vergessen, dass die Wasserstraße kein gesichertes Freibad ist.

Quelle: Westfälischer Anzeiger
Quelle: Westfälischer Anzeiger

Update 11. Februar 2021:

Der frühere Stadtarchivar Martin Litzinger sollte im Fall der Familie Janulek mit seiner Einschätzung recht behalten, dass es sich bei dem tragischen Vorfall auch um einen erweiterten Suizid gehandelt haben könnte. Im Westfälischen Anzeiger vom    8. August 1925 findet sich ein Artikel, der Aufschluss gibt. Darin heißt es:

Rünthe, 6. Aug. Die Wahnsinnstat einer Mutter. In einem Anfall von Schwermut ging heute mittag 1 1/2 Uhr die Frau eines Bergmanns aus der Siedlung hierselbst freiwillig in den Tod. Sie warf der Reihe nach ihren sechsjährigen Jungen und ihr vierjähriges Mädchen in den Kanal und sprang dann selbst hinterher. Der Ehemann, der bald zur Stelle war, versuchte, durch Tauchen Frau und Kinder zu retten. Er erfaßte auch die Frau und den Jungen, jedoch vermochte er nur seinen Sohn, allerdings als Leiche, ans Ufer zu bringen, während ihm die Frau wieder entglitt. Wiederbelebungsversuche bei dem Jungen waren erfolglos. Nach Herbeischaffung eines Kahnes wurde der Kanal an der Tatstelle mittels Haken abgesucht. Die ertrunkene Frau wurde bald gefunden und geborgen, dagegen konnte die Leiche des vierjährigens Mädchens bis zur Stunde nicht aufgefunden werden. Die geborgenen Leichen wurden der Leichenhalle in Rünthe zugeführt.