Der Kohlebaron von Rünthe

Historisches Portrait von Siegfried Maiweg.
Siegfried Maiweg (Bildnachweis: Privatbesitz Barbara Gerstein)

Über mehrere Jahrhunderte war das Haus Rünthe Sitz adeliger Herrschaften. Als das Gut mit seinen großen Ländereien im Jahre 1899 in den Besitz der Zeche Werne kam, wurde die prächtige Villa zum Dienstwohnsitz der Zechendirektoren. Mit Siegfried Maiweg residierte dort fast zwei Jahrzehnte ein Mann, der von Rünthe aus zu einem der mächtigsten Wirtschaftsbosse des Ruhrgebiets aufstieg.

 

Maiweg trat 1938 seinen Posten als Direktor der Zeche Werne an, die zu diesem Zeitpunkt bereits zum Klöckner-Konzern gehörte. Der studierte Bergbauingenieur brachte es bis zum Vorstand des Unternehmens und bekleidete zahlreiche Ämter in den unterschiedlichsten Wirtschaftsverbänden: Vorstandsvorsitzender des Ruhrtalsperrenvereins, Vorstandsmitglied des Lippeverbandes, Vizepräsident der IHK zu Dortmund, Vorsitzender der Gesellschaft für Westfälische Wirtschaftsgeschichte und Stiftungsgründer des Westfälischen Wirtschaftsarchivs. Dort befindet sich heute sein Nachlass. Zu den Archivalien gehören alte Fotografien von den Klöckner-Liegenschaften in Rünthe sowie eine Urkunde des Knappenvereins „Bruderkette“, dessen Ehrenmitglied Siegfried Maiweg im Jahre 1974 wurde.

 

An Kindheit und Jugend in der Bergbaugemeinde erinnert sich seine Tochter Barbara Gerstein (86), die in Dortmund wohnt. „Als Kind war mir gar nicht bewusst, wie privilegiert wir im Haus Rünthe gelebt haben. Das Anwesen lag damals in einem parkähnlichen Garten, den Ostenhellweg gab es noch nicht. Das Haus hatte 17 Zimmer. Wir hatten Dienstpersonal, Gärtner und einen Fahrer. Das Lebensmittelgeschäft Prahl belieferte uns regelmäßig. Es gab viel Standesdünkel. Mit den Kindern aus der Zechenkolonie hatte ich kaum Kontakt“, blickt sie zurück. Bis heute kann sie sich gut an ihren Schulweg entlang der Schachtstraße erinnern. Später ging es mit der Straßenbahn zur höheren Schule nach Kamen. „Damals gab es ja noch die Kleinbahn zwischen Werne und Unna, am Hellweg beim Haus Rensing lag meine Haltestelle.“ Im Gedächtnis sind ihr die Jungs aus der Zechenkolonie geblieben, die am Muttertag aus dem großen Garten des Anwesens den Flieder klauten, um daheim ihre Mutter zu beschenken. „In Rünthe sprach man immer von den 'Jäustern'. Damit die beim Fliederklau nicht ständig über unsere Mauer klettern mussten, stellten wir irgendwann eine alte Zinkwanne mit Flieder gefüllt an das Tor zu unserem Grundstück. Da konnten die sich bedienen.“ Ihren Vater hat Barbara Gerstein als vielseitig interessierten Mann in Erinnerung, dessen Rat und Expertise gefragt war. „Er war in vielen Verbänden engagiert. In seiner Zeit als Vorstandsvorsitzender des Ruhrtalsperrenvereins wurde die Biggetalsperre eingeweiht. Und wenn er runden Geburtstag feierte, kam eine Abordnung des Rünther Knappenvereins, um ihm ein Ständchen zu bringen. Einmal im Jahr kam Wilhelm Grüter vom Vorstand der Knappen, um den Mitgliedsbeitrag meines Vaters zu kassieren. Er konnte ganz gut mit Menschen umgehen.“

Dr. Hans Küsel
Dr. Hans Küsel (Foto: Manuel Izdebski)

Lebendige Erinnerungen an Siegfried Maiweg hat auch der 91-jährige Dr. Hans Küsel aus Unna, der lange Jahre als Justiziar für die Klöckner-Werke und später für die RAG arbeitete: „Ich bin 1955 zur Klöckner Bergbau AG gekommen. Die Verwaltung des Unternehmens lag in Unna-Königsborn, aber damals musste ich noch meinen Antrittsbesuch bei Siegfried Maiweg im Haus Rünthe machen, das gehörte sich so. Da wurde man privat zum Kaffee eingeladen und brachte für die Dame des Hauses einen Blumenstrauß mit.“ Um die Bedeutung des Klöckner-Konzerns und seiner Vorstände weiß Küsel genau. „Siegfried Maiweg war einer der mächtigsten Industriekapitäne seiner Zeit. Dabei war er ein genügsamer und bescheidener Mann. Ein echter Gentleman“, erinnert sich der Jurist.

 

Im Haus Rünthe lebte die Familie Maiweg bis 1956. Tochter Barbara studierte Volkswirtschaft und heiratete Ludwig Gerstein, den späteren Direktor der Zeche Hansa in Dortmund-Huckarde. Er zog 1976 für die CDU in den Bundestag ein und machte sich als Energiepolitiker einen Namen. Siegfried Maiweg blieb bis 1966 Vorstand der Klöckner-Werke. Die Gründung der Ruhrkohle AG verfolgte er aus dem Ruhestand. Er starb 80-jährig am 26. August 1982 in Dortmund. Mit ihm trat einer der letzten „Kohlebarone“ des Ruhrgebiets von der Bühne – ein Ehrentitel, den Tochter Barbara nicht gerne hören mag. In Rünthe bleibt die Errichtung der Klöckner-Siedlung „Böggefeld“ Anfang der 1950er Jahre mit seinem Namen verbunden. Das Bauprojekt entstand unter seiner Ägide. Als Presbyter der evangelischen Kirchengemeinde verantwortete Siegfried Maiweg 1954/1955 den Bau des Martin-Luther-Hauses (heute Christuskirche) sowie die Errichtung der kleinen Kapelle in Heil.

Historische Aufnahme  Haus Rünthe.
Haus Rünthe um 1955 (Bildnachweis: Stadtarchiv Bergkamen)